Gefährliches Erbe
in Johannesburg

     Gefährliches Erbe
in Johannesburg

Gold: Segen und
Fluch einer Stadt

Manuel Dieterich

Die größte Goldader der Welt befindet sich in Südafrika. Nach der Entdeckung von Gold auf der Farm Langlaagte im Jahr 1886 kam es dort zum sogenannten „Witwatersrand Goldrausch“. Innerhalb weniger Jahre wuchs Johannesburg, das einstige Grabungscamp, zur größten Stadt Südafrikas heran. Vielen Bewohner*innen der Stadt verschaffte der Abbau des Edelmetalls eine Arbeit, einigen wenigen – den sogenannten Randlords – verhalf er zu immensem Reichtum. Heute wird der Abbau zunehmend schwieriger und kostspieliger, da das verbleibende Gold aus immer tieferen Schichten gelöst werden muss. Viele Bergwerke schlossen deswegen in den letzten Jahren ihre Tore. Was bleibt sind massive Abraumhalden und Abwasserbecken, die giftige und radioaktive Rückstände enthalten. Nur die wenigsten Bergwerksunternehmen führen Maßnahmen zur Rekultivierung der ehemaligen Minen durch. Laxe Vorschriften und zahlreiche Schlupflöcher setzen der Profitgier der Unternehmen nur wenig entgegen. Die giftig-radioaktive Erblast der Goldminen bedroht deswegen bis heute die Bewohner*innen Johannesburgs und ihre Umwelt.

Soul City:
Leben zwischen
Rückständen

Soul City ist eine informelle Siedlung im Westen Johannesburgs und entstand 1996. Das Camp auf der ehemaligen Abraumhalde der Tudor Goldmine war von der Stadtverwaltung zunächst nur als Zwischenlösung geplant. Die Bewohner*innen sollten möglichst schnell in Sozialwohnungen untergebracht werden (RDP-Häuser). In den letzten 25 Jahren wuchs das ehemalige Camp Tudor Shaft jedoch zur informellen Siedlung Soul City heran. Im Jahr 2011 zählte der Zensus hier rund 6.000 Menschen. Die Lebensbedingungen in dem Elendsviertel sind denkbar schwer. Es mangelt an grundlegender Infrastruktur, der Zugang zu frischem Wasser, Abwassersystemen, Strom oder asphaltierten Straßen fehlt. Die Bewohner*innen der Siedlung bemühen sich seit Jahren um eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Von den politischen Verantwortlichen werden sie aber gerade wegen des ‚Übergangscharakters‘ der Siedlung immer wieder vertröstet. Ihr von außen betrachtet zynisches Argument gegen eine Aufwertung von Soul City: gerade wegen der verseuchten Umwelt könne man eine offizielle Verstetigung der Siedlung nicht angehen.

Was bedroht uns?

In Soul City zu leben, bedeutet für die Bewohner*innen eine starke Gefährdung ihrer Gesundheit. Teile der Siedlung stehen direkt auf der ursprünglichen Abraumhalde der Tudor Goldmine. In unmittelbarer Nähe der Siedlung liegt ein Kilometer langer und Dutzende Meter hoher kahler Abraumberg. Dessen giftiger Staub wird vom Wind in alle Richtungen getragen, auch nach Soul City hinein. Über den Regen gelangen die gesundheitsgefährdenden Bestandteile des Abraums in die umliegenden Gewässer und sogar ins Grundwasser. Die zahlreichen hochgiftigen und radioaktiven Stoffe, wie etwa Uran und Schwermetalle, verseuchen so die ganze Gegend um die Siedlung. 

Die Menschen in Soul City sind den giftigen Stoffen permanent ausgesetzt und können sich kaum vor ihnen schützen. Die meisten Hütten in Soul City sind ohne Fundamente auf der nackten Erde errichtet, die Kinder spielen auf den umliegenden Erdhügeln. Wegen der großen Armut müssen zudem Grundnahrungsmittel und Tiere meist auf dem vergifteten Boden angebaut und gezüchtet werden. Die Folgen sind schwerwiegend: Viele Bewohner*innen beklagen sich über gesundheitliche Probleme wie starken Husten, Nasenbluten oder Hautekzeme. Hinzu kommen ein stark erhöhtes Risiko für Krebsleiden und Leberschäden.

INFO Bedrohung durch Anpflanzen von Nahrungsmitteln

„In Tudor Shaft gab es keine Klos, die Leute haben einfach da hingemacht, wo sie gerade waren. Dunusa, haben die Leute es genannt, das bedeutet „die Hockenden“, denn wenn sie im Taxi vorbeifuhren, die aus den Townships mit den richtigen Häusern, haben sie Witze über uns und unsere Leute hier gemacht. Weil sie ja nichts hatten, nicht mal ein Klo. Man geht einfach in den Busch und macht dahin.“ (Lethabo, Aktivist, seit 2000 ansässig)

„Wir haben hier angepflanzt und das Zeug auch gegessen, und es hat uns nicht umgebracht. Die Leute pflanzen hier, und es geht ihnen gut. Vielleicht wird das später zum Problem und wir kriegen alle Krebs, aber für uns ist das jetzt perfekt. Sie besorgen uns ja nichts anderes zum Wohnen, und so pflanzen wir hier an und essen das Zeug auch. Meine Mom macht das gerne, sie hat hinter dem Haus einen Garten, und sie hat es auch geerntet, denn wir haben momentan kein Geld. Kürbis, Kartoffeln und Mais hat sie gepflanzt.“ (Lesedi, lebt seit 2011 in Soul City, studiert an der UNISA)

Wer sind wir?

Das Gerede vom ‚Übergangscharakter‘ der Siedlung und die regelmäßig wiederholte Beteuerung‚ jetzt werde sich wirklich was ändern‘ von Politiker*innen weckte bei den Bewohnenden von Soul City immer wieder Hoffnungen und ließ sie immer wieder verzweifeln. Die Wechselbäder der Gefühle hatten zur Folge, dass es in der Bevölkerung immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt, wie mit dem Erbe des Minenbetriebs am besten umgegangen werden sollte.

Einige fordern etwa, dass die ursprünglich geplante Umsiedlung in Sozialwohnungen möglichst bald stattfinden müsse, gerade weil die Lebens- und Umweltbedingungen so schwierig und gefährlich sind. Andere hegen hingegen Misstrauen, dass die Stadt sie nur von Grund und Boden vertreiben möchte, um gemeinsam mit den Minenunternehmen den Abbau des verbleibenden Goldes zu beginnen. Sie plädieren daher für eine Formalisierung, Eingliederung und Aufwertung der Siedlung an Ort und Stelle. 

Einige sehen in dem Konflikt der beiden Gruppen ohnehin keinen Sinn mehr: sie gehen ganz pessimistisch davon aus, dass die Vergangenheit sich einfach wiederholen wird. Politisch Verantwortliche würden sie nur weiter hinhalten und eine Verbesserung ihres Lebens verschleppen. Am Ende werde sich so rein gar nichts verändern.

Vergleich Emotionen in
Bedrohten Ordnungen

Was brauchen wir?

Die vielen Jahre des Wartens, in denen nichts geschieht, haben bei den Bewohner*innen von Soul City zu Enttäuschung und Ernüchterung geführt. Der anfängliche Glaube an den Übergangscharakter der Siedlung ist der dunklen Ahnung gewichen, dass sie wahrscheinlich niemals andernorts in Sozialwohnungen umziehen oder in einer intakten Umwelt vor Ort leben werden können. Kaum ein Mensch in Soul City sieht mit Zuversicht in die eigene Zukunft und an die Gestaltungskraft von Politik glauben ohnehin nur noch die wenigsten. Das Versagen der Politiker*innen erklären sich die meisten mit der im Land grassierenden Korruption. So hätten sich die Verantwortlichen lieber selbst bereichert, die Sozialwohnungen an ihre Klientel vergeben und sich lieber nicht mit den mächtigen Minengesellschaften anlegen wollen. Bei den Bewohner*innen von Soul City führt das zu der Wahrnehmung, dass sie wie Bürger*innen zweiter Klasse behandelt und im Stich gelassen werden. Es bräuchtepolitischen Druck, doch wie könnte der aufgebaut werden?

Zitate
Stimmen aus Soul City

„Soul City hat das Spiel verloren, jetzt haben wir nicht mal mehr ein Versprechen, keine Hoffnung, und wir werden hier sterben. Es gibt keine Mittel mehr für neue Häuser, und so werden wir keine Häuser kriegen.“ (Oni, Sprecher der Gemeinschaft, wohnhaft seit 2001, Mitglied des ANC)

„Unser Ziel für Soul City ist eindeutig, den Ort hier offiziell zu machen. Der alte Bürgermeister, der gestorben ist, hatte bereits zugestimmt, dass alles offiziell gemacht wird, und er hatte Pläne. Aber der neue Bürgermeister sagt, er braucht noch Zeit, denn er habe gerade erst sein Amt angetreten. Aber ich glaube, es wird passieren, es wird nur länger dauern.“ (Katlego, Anwohner von Soul City, Mitglied der DA)

„Wir sind arm, wir arbeiten nicht. Wir warten auf die RDP-Häuser.“ (Dona, EFF-Mitglied, führt einen kleinen Laden)

„Hier ändert sich nichts. Ist kein guter Ort. Den Kindern geht es nicht gut. Ich muss aus Soul City raus.“ (Dikeledi, Mutter, wohnt seit 2001 in Soul City)

„Es gibt keinerlei Garantie, verstehst du. Also kann ich nicht sagen, dass ich garantieren kann, dass wir bald hier weg sind. Nein, wir werden hier bleiben. Haben versucht, uns zu beschweren, aber niemand hört unsere Klage.“ (Lethabo, wohnt seit 2011 in Soul City, studiert an der UNISA)

Was tun wir?

Nach der Jahrtausendwende begannen sich die Bewohnenden zu organisieren. Dabei wendeten sie sich auch an die lokale Umweltorganisation Federation for a Sustainable Environment (FSE). Die Organisation begleitete die Bemühungen vor Ort maßgeblich, indem sie etwa für die notwendige mediale Aufmerksamkeit sorgte oder Eingaben an die politisch Verantwortlichen richtete. Auch trieb sie nationale und internationale Forschungen über den Zustand der Umwelt und Gesundheit der Bewohner*innen voran. Außerdem organisierte die FSE Informationstouren vor Ort, wodurch unter anderem Bewohnende der angrenzenden Mittelschichtsnachbarschaft Mindalore auf das Thema aufmerksam wurden und den Kampf ebenfalls unterstützten. 

Die Bewohnenden konnten – mit der Hilfe der Umweltorganisation – zumindest zwei (Teil-)Ziele erreichen. Zum einen wurden Teile der Tudor Abraumhalde von den Behörden abgetragen. Zum anderen wurden die meisten der Bewohner*innen des am stärksten betroffen Teils von Soul City inzwischen in Sozialwohnungen umgesiedelt. Für den Großteil der verbleibenden Menschen scheint inzwischen klar zu sein, dass sie politisch auf eine Formalisierung, also Erschließung von Soul City setzen müssen, wenn sie überhaupt Zukunftsaussichten haben wollen.

Audio Protest
und Aktivismus gegen
die Bedrohung
00:00 — Mariette Liefferink, Geschäftsführerin der Federation for a Sustainable Environment (FSE), eine der größten Umweltorganisationen in Südafrika (Stimme nachgesprochen)
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